Emsdetten und kein Ende

Artikel demnächst auch bei GameParents.de

Derzeit arbeite ich an einer wirklich umfassenden Abhandlung zum Amoklauf in Emsdetten, angefangen bei der Medienberichterstattung, über die Tathintergründe bis hin zur nicht enden wollenden Diskussion einiger verkorkster Möchtegern-Politiker zu möglichen Verboten so genannter ‘Killerspiele’. Da es noch ein wenig dauert, bis der Artikel wirklich vollendet ist, gibt es hier schon einmal eine kleine Vorschau auf das erste Kapitel. Viel Vergnügen.

Ein Amoklauf und seine Folgen – Eine Abhandlung zum Medienereignis Emsdetten

Montag, den 20. November 2006. Sebastian Bosse, 18 Jahre jung, läuft an seiner ehemaligen Schule in Emsdetten im Münsterland Amok. Trauriges Ergebnis seiner Tat: 37 verletzte Personen, jedoch glücklicherweise keine Toten. Mit einer Ausnahme: im Anschluss an seine Tat richtet sich Bastian B. – wie er von den Medien genannt wird – noch im Schulgebäude selbst.

Ein tragisches Ereignis, ohne Zweifel, das auch wir von GameParents.de in aller Härte verurteilen. Mindestens genau so tragisch allerdings dürfte der Weg sein, den Sebastian bis zu seiner Tat zurückgelegt hat. Und mindestens ebenso tragisch, ja erschreckend, ist die anschließende Berichterstattung der Medien. Und zwar genau so auf lokaler Ebene und in der Yellow Press, wie in den so genannten Qualitätsmedien. Erschreckend auch die von Politikern völlig unqualifiziert geführte Debatte um negative Wirkungen von Computer- und Videospielen. Schnell nach der Tat stehen diese- und allen voran wieder einmal die so genannten Ego-Shooter wie Counter-Strike – unter Generalverdacht, bis dato harmlose und unauffällige Kinder und Jugendliche bei Kontakt in hemmungslose Killer zu verwandeln. Doch dazu später mehr.

Fairerweise sollte angemerkt werden, dass sich die allgemeine Berichterstattung zum Thema im Laufe der letzten Wochen durchaus hin zu differenzierten und gut recherchierten Beiträgen gewandelt hat. Der negative (Erst-) Eindruck allerdings bleibt und wird nur schwer wieder zu beheben sein, vor allem beim eher uninformierten Leser und Zuschauer, der sich nur alle Jahre wieder mit Computerspielen beschäftigt und diese immer nur im direkten Zusammenhang mit negativen Ereignissen wahrnimmt. Und eben dank der wortgewaltigen Vorstöße von Politikern gerade der älteren Generation, die sich Reden schwingend zu den Rettern der Nation hochstilisieren, indem sie ein Generalverbot so titulierter ‚Killerspiele’ fordern, selbst aber vermutlich niemals auch nur eine einzige Minute gespielt haben. Doch wir schweifen schon wieder ab.

Traditionelle Medien stehen in einer Zeit, in der das Internet rasend schnellen Zugriff auf alle möglichen Informationen bietet, und in einer Zeit, in der sich dutzende von Radio- und Fernsehsendern um Aufmerksamkeit und einen Stammplatz auf der Fernbedienung der Rezipienten streiten, unter immer größerem Quotendruck. Noch größer wird der Druck bei Onlinemagazinen und den Online-Ablegern der großen Verlagshäuser und Printmagazine/ Tageszeitungen (wie etwa Spiegel Online, Süddeutsche.de, Zeit.de oder der Netzzeitung). Da werden schon mal ganze Agenturmeldungen ohne vorherige Kontrolle völlig unredigiert veröffentlicht, bzw. ein Artikel einfach aus mehreren Agenturmeldungen zusammengestrickt. Anders sind Artikel wie dieser Beitrag auf Spiegel Online mit dem Titel „18-jähriger verteilte Bomben im Schulgebäude“ am Tag der Tat nicht zu erklären. Völlig unreflektiert und vor allem: jeglichem Zusammenhang entrissen heißt es dort:

  • „[…] Die Polizei hat das Gelände rund um das Einfamilienhaus, in dem die Eltern des mutmaßlichen Täters leben, abgesperrt. Ein Schüler, der den Täter kannte, berichtet, es sei ein Einzelgänger gewesen, der den ganzen Tag mit Computerspielen verbracht habe. Erste Informationen von SPIEGEL ONLINE, denen zufolge der Schüler seine ehemalige Schule vor Jahren bereits als Szenario für ein populäres Ballerspiel am Computer nachbaute, sind bislang nicht bestätigt. Insgesamt wurden acht Personen verletzt. […]“ (Spiegel Online vom 20. November 2006).

Völlig unüberlegt werden Computerspiele hier in einen Zusammenhang mit der Bluttat gebracht, ohne dass dieser Zusammenhang in irgendeiner Weise näher erläutert würde. Im Kopf des Lesers hingegen entsteht dadurch unweigerlich ein eindeutiges Bild auch wenn dieses durch die Formulierung vielleicht nicht beabsichtigt war: Computerspiele sind verantwortlich für eine solche Tat! Aber sind sie das wirklich?

Ein besonders erschreckendes Bild vom deutschen Qualitätsjournalismus zeichnet in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass obige Formulierungen bereits publiziert werden, während der Leichnam des Täters, praktisch noch warm, im Schulgebäude liegt (ebd.).

Besonders problematisch bei solchen Publikationen: Zwar gilt das Internet nach wie vor als ziemlich ‚flüchtiges’ Medium, sprich: Informationen in Form von Webseiten kommen und verschwinden oftmals genau so schnell wieder im Datennirvana, doch gerade die großen Verlage und Magazine verfügen über besonders gut sortierte Online-Archive, in denen also auch jede noch so kleine Falschmeldung unredigiert als Original-Artikel gespeichert wird.

An und für sich noch keine schlechte Sache. Problematisch wird es aber immer genau dann, wenn solche Fehlinformationen Wochen, Monate oder Jahre später für andere Artikel als Quelle wieder heraus gegraben werden. Denn: auch für Journalisten stellt das Internet heute das meistgenutzte und wichtigste Medium zur Recherche von Artikeln dar (vgl. Striegler/ Petersen/ Papenfuß 2002: 4). Und so ist es deshalb nicht weiter verwunderlich, dass solche Fehlmeldungen noch Jahre später unverändert in den Medien zu finden sind.

Bestes Beispiel in unserem Zusammenhang: der Amoklauf des damals 19jährigen Robert Steinhäusers an einem Gymnasium in Erfurt. Kurz darauf wurde von der Politik damals übrigens in Windeseile das heute gültige Jugendschutzgesetz mit den gesetzlichen Altersfreigaben verabschiedet. Aber das nur am Rande. Eine Meldung, die damals hartnäckig durch die Medien geisterte war, dass Steinhäuser in seiner Freizeit intensiv das Töten am Computer geübt habe. Sein bevorzugtes Spiel angeblich: Counter-Strike. Was die Presse dabei immer wieder gerne geflissentlich übersehen hat: Steinhäuser besaß weder das Spiel selbst, noch den dafür zwingend notwendigen Internetanschluss (vgl. Decker 2005). Nichts desto trotz sind derartige Meldungen heute nach wie vor im Original zu finden (vgl. Pöhlmann 2006).

Und gerade deshalb muss man auch Jahre nach Steinhäusers Tat nach wie vor lesen, er habe seine Tat vorher am Computer mit Hilfe von Counter-Strike simuliert (siehe etwa Fettig 2005).

Trotz allem: Eben oben zitierter Absatz zum Emsdettener Amoklauf gibt aber auch einen ganz anderen Hinweis auf die Persönlichkeit des Bastian B.: er war ein Einzelgänger, der sich zurückgezogen hat von seiner Umwelt. Und was macht ein Jugendlicher dieser Tage, wenn er sich zurückzieht? Ein Buch lesen vielleicht? Nein, er setzt sich an seinen Computer. Und unter Umständen spielt er dann eben auch diverse Computerspiele. Die Frage, die sich hier aufdrängt muss folgerichtig lauten: Was hat ihn dazu bewegt, sich immer weiter zurückzuziehen? Unabhängig davon, ob er tatsächlich übermäßig viel Zeit mit Computer und Spielen verbracht hat oder nicht.

Dabei macht es uns Sebastian bei der Suche nach den wahren Gründen seiner Tat doch eigentlich besonders leicht. Denn schließlich liefert er die Antworten bereits im Vorfeld selbst, sei es in Form seines Abschiedsbriefes, diverse Forenposts oder die von ihm am Abend vor seiner Tat veröffentlichten Videos, auf die wir später noch eingehen werden.

Sein Abschiedsbrief ist gezeichnet von – völlig nachvollziehbaren – persönlichen negativen Erfahrungen im Umgang mit vielen seiner Mitmenschen und ehemaligen Mitschülern, von dem Verzweifeln an gesellschaftlichen Zwängen und Konventionen, von Unterdrückung und Mobbing. Und, nicht zuletzt, auch von einer Menge an wirren Vorstellungen und Auffassungen, die zeigen, wie sehr Bastian B. an dieser Welt verzweifelt ist, sich immer mehr nach innen zurückgezogen und sich eine eigene, innere Parallel-Welt aufgebaut hat, in der er einen immer größer werdenden Hass auf die bestehende Gesellschaft aufgebaut hat.

Beispiele gefällig?

Bereits im ersten Satz seines Abschiedsbriefes heißt es „Wenn man weiss, dass man in seinem Leben nicht mehr Glücklich werden kann, und sich von Tag zu Tag die Gründe dafür häufen, dann bleibt einem nichts anderes übrig als aus diesem Leben zu verschwinden“ (vgl. Rötzer 2006).

Und weiter:

  • „Man hat mir gesagt ich muss zur Schule gehen, um für mein leben zu lernen, um später ein schönes Leben führen zu können. Aber was bringt einem das dickste Auto, das grösste Haus, die schönste Frau, wenn es letztendlich sowieso für’n Arsch ist. Wenn deine Frau beginnt dich zu hassen, wenn dein Auto Benzin verbraucht das du nicht zahlen kannst, und wenn du niemanden hast der dich in deinem scheiss Haus besuchen kommt! Das einzigste was ich intensiv in der Schule beigebracht bekommen habe war, das ich ein Verlierer bin“ (ebd.).

Im Folgenden beklagt er sich vor allem ob der Konsumgeilheit seiner ehemaligen Mitschüler und des Drucks, der auf jeden ausgeübt wird, der sich weigert, teil dieser Konsumgesellschaft zu sein.

  • „Aber dann bin ich aufgewacht! Ich erkannte das die Welt wie sie mir erschien nicht existiert, dass sie eine Illusion war, die hauptsächlich von den Medien erzeugt wurde“ (ebd.)

Dass eine solche ‚Erkenntnis’ seinem Status unter seinen Mitschülern nicht sonderlich förderlich gewesen sein dürfte, sondern – ganz im Gegenteil – den Druck auf ihn noch erhöht hat, sollte jedem klar sein.

  • „Ich habe in den 18 Jahren meines Lebens erfahren müssen, das man nur Glücklich werden kann, wenn man sich der Masse fügt, der Gesellschaft anpasst. Aber das konnte und wollte ich nicht. Ich bin frei! Niemand darf in mein Leben eingreifen, und tut er es doch hat er die Konsequenzen zu tragen!“

 

[…] TO BE CONTINUED!

 

 

 

 

Literatur:

Decker, Markus (2005): Jugendschutz und neue Medien – Grundfragen des Jugendmedienschutzes in den Bereichen Bildschirmspiele und Internet. Münster: Waxmann Verlag.

Fettig, Andreas (2005): Eltern sind oft ahnungslos, in: NRZ – Neue Ruhr Zeitung, 19.August 2005, S.22. Essen: Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen Kommanditgesellschaft.

o.N. (2006): 18-jähriger Amokläufer verteilte Bomben im Schulgebäude, in: Spiegel Online, 20. November 2006. Hamburg: Spiegel Online GmbH.
Artikel-URL: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,449557,00.html.

Pöhlmann, Christian (2006): Computerspiele und Jugendschutz – Eine Analyse der Kontrolltätigkeit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) und der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). Abschlussarbeit zur Erlangung des Grades Magister Artium. Münster: Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Online im Internet: http://www.christian-poehlmann.de/?page_id=20.

Rötzer, Florian (2006): „Ich will R.A.C.H.E.“, in: Telepolis, 21. November 2006. München: Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co KG. Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24032/1.html.

Stöcker, Christian (2006): Video-Vermächtnis mit Waffe, Mantel, Kampfstiefeln, in: Spiegel Online, 20. November 2006. Hamburg: Spiegel Online GmbH.
Artikel-URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,449681,00.html.

Striegler, Sandra/ Petersen, Jens/ Papenfuß, Ute (2002): Media Studie 2002 – Journalisten Online – Eine Folgestudie. Hamburg: news aktuell GmbH.
Online im Internet: http://www.newsaktuell.de/de/download/ms2002-d.pdf.

Tüshaus, Benjamin (2006): Im Quotenparadies, in: Onlinejournalismus.de – Das Magazin zum Thema, 3. August 2006. München: Onlinejournalismus.de.