Herrlich: Da hab ich erst gestern einen Artikel zur berechtigten Kritik an Ursels neuem Jugendschutzgesetz verfasst und mich während des beherzten Griffs in die Tasten wieder einmal gefragt, wie weltfremd man eigentlich sein mus, um regieren zu dürfen, da kommen schon die nächsten Witzbolde um die Ecke. Wie die Welt berichtet, hat eine illustre Arbeitsgruppe zum Thema Jugendgewalt sich wirklich wirklich kräftig das Köpfchen zermartert, um zu einer gescheiten Lösung zu gelangen, wie denn bloß der Jugendgewalt in diesem unseren Lande beizukommen wäre. Unterm Strich sind dabei 22 Vorschläge herausgekommen, von denen aber einer so sehr zu erheitern weiß, dass man sogar den anderen 21, selbst ungelesen, glatt unterstellen möchte, das Produkt weit fortgeschrittener Schwachsinnigkeit zu sein. Wollt Ihr wissen, was unter anderem auf der Liste steht und was mich so sehr amüsiert, dass ich vor Freude glatt ein ganzes Ministerium vollkotzen möchte? OK, ich sag’s Euch: Kaufhäuser – und gerade Elektrofachmärkte – sollten doch bitte unter der Woche sämtliche Spielkonsolen in der Zeit vor 15h ausgeschaltet lassen. Muahaha.
Hamburgs Innensenator Udo Nagel ließ sich dazu wie folgt vernehmen:
“Die Innenministerien der Länder sollten mit den großen Kaufhäusern und Elektronikmärkten vereinbaren, dass Spielkonsolen erst nach der Schulzeit ab 15 Uhr freigeschaltet werden. […] Schulschwänzertum kann der Beginn einer kriminellen Karriere sein. Deshalb muss man hier konsequent einschreiten.”
Ist Euch aufgefallen, wie virtuos es Nagel schafft, Konsolen nicht nur praktisch direkt für das Schulschwänzen verantwortlich zu machen, sondern indirekt auch noch als Eingangstor in die Welt krimineller Machenschaften darzustellen? Demnach wären Konsolen – und gerade die in Kaufhäusern – also praktisch entweder direkter Auslöser des Schuleschwänzens, oder doch zumindest erste Anlaufstelle, wenn man als Jugendlicher mal grad keinen Bock auf Schule hat, und dann darüber hinaus auch noch mitverantwortlich dafür, das klein Murat Kevin in in der städtischen Einkaufsmeile Omis die Geldbörse klaut, oder was?
Jetzt fragt man sich doch glatt, wie denn die Herren Arbeitsgruppenangehörigen das damals in ihrer Kindheit gemacht haben. Konsolen gab’s ja damals noch nicht. Vermutlich hat man sich lieber zum Comic-Lesen verdrückt, wenn man mal schwänzen wollte. Oder man hat sich gemeinsam auf der Stube böse Rock’n’roll-Platten reingezogen und dabei ordentlich die Rübe weggequarzt. Aber hey, Rock’n’Roll war zwar der Teufel, aber noch lange nicht so schlimm wie …Konsolen… (stellt Euch vor, ich hätte dieses Wort rausgewürgt). Aber der Unterschied ist natürlich der, dass einem Rock’n’Roll und Comics immer nur von schlimmen Taten erzählt haben, während Konsolen ja zu nichts besserem gut sind, als den Kindern direkt das Rauben, Plündern und Morden beizubringen. Nicht wahr?
Hat vielleicht mal jemand von den Herrschaften darüber nachgedacht, dass einer der größten Unterschiede zwischen Schwänzen früher und heute wohl ist, dass man vor 30 Jahren einfach noch viel strenger und behüteter aufgewachsen ist. Dass die Eltern nicht morgens schon beide arbeiten waren, wenn der Zögling zur Schule sollte und entsprechend noch etwas besser die Hand über dem hatten, was die Kleinen so den lieben langen Tag trieben? Oder dass Eltern sich einfach generell noch mehr um die Freizeitaktivitäten ihrer Kinder gekümmert haben und die Knowledge Gap im Medienbereich nicht so der maßen stark zwischen den Generationen klaffte, wie das heutzutage der Fall ist? Hatten früher noch die Eltern den Finger auf dem Drücker, ist es heute meist sogar umgekehrt.
Nun also den Geschäften vorschreiben zu wollen, Spielkonsolen künftig erst nach 15h einschalten zu dürfen, ist beinahe schlimmer als alles, was Frau von der Leyen im Rahmes ihres Placebo-Gesetzentwurfes jemals angedacht hat. Ich kann es nur zum tausendsten Mal wiederholen, auch wenn ich selbst langsam wirklich müde darüber werde: Medienkompetenz lautet das entscheidende Stichwort. Medienkompetenz bei Eltern als auch bei Kindern zu vermitteln und auszubauen. Dazu gehört auch, dass Gamer sich internsiver mit dem Thema vertraut machen und sich für mehr Medienkompetenz im Rahmen von Diskussionen einsetzen müssen. Nur so kanns am Ende klappen. Wer sich also mal schlau machen will, um sich dann vielleicht aktiv zu beteiligen, liest deshalb vielleicht im Anschluss an diese Worte hier noch meinen kleinen Einstiegsartikel in die Welt des Spielraum-Netzwerkes und/oder beteiligt sich eventuell gleich in irgendeiner Weise an unserem kleinen gemeinnützigen Projekt namens GameParents.de e.V.. Vielen Dank!
Der Vorschlag kommt mir irgendwie bekannt vor… Als hätte ich das (ohne die Verbindung zur Kriminalität, durchaus aber mit dem Schwänzen des Unterrichts) schon mal gehört… Natürlich, als die vorherige Konsolengeneration auf den Markt kam und die in meiner Nähe befindlichen Geschäfte noch GameCube-, Xbox- und PS2-Demokonsolen vorweisen konnten. Die haben die Konsolen erst nach Schulschluss eingeschaltet, vorher blieben die Bildschirme schwarz. View all comments by Alanar
Bei uns in Bremen ist das auch schon seit Jahren so. Ich kenne jetzt nicht die genaue Einschalt-Uhrzeit, aber vormittags sind die Konsolen in unseren Elektro-Fachmärkten und Kaufhäusern auch ausgeschaltet. Ob das gegen das Schwänzen hilft, wage ich mal zu bezweifeln. Die Kiddies werden ja wohl kaum wegen der Konsolen schwänzen, sondern weil sie keine Lust auf Schule haben. View all comments by blumentopferde
Ich glaub auch eher, dass die Läden ihre Konsolen freiweillig abschalten, weil sie keinen Bock darauf haben, dass die schwänzenden Kids alle bei denen im Laden rumlungern. View all comments by Christian
Das erinnert mich so unangenehm an den Artikel, den ich Anfang Januar auf meinem Blog schrieb, dass ich speien könnte. Da merkt man es mal wieder: Wir kämpfen gegen Windmühlen. Weltfremde Windmühlen. View all comments by Knurrunkulus
Nee, eine freiwillige Aktion war das auch nicht (glaube ich zumindest), das war eine Idee des damaligen Bremer Innensenators. Ob Anordnung oder Anregung, weiß ich nicht mehr, aber alle Geschäfte halten sich dran. View all comments by blumentopferde
Ich sag mal so: als Mediamarktsaturn-Leiter eines beliebigen Stores im Ruhrgebiet würde ich die Kisten freiwillig auslassen. Ganztags 😉 View all comments by Christian
Aaalso mal vorneweg, da sich der gesamte Artikel ja auf das Zitat stützt: Diese […] in deinem Zitat sind ja nicht unerheblich. Im Welt-Artikel sind es zwei voneinander getrennte Aussagen. Natürlich lässt der Welt-Artikel darauf schließen, dass das zusammengehört. Wie eng Herr Nagel das in Wirklichkeit im Zusammenhang genannt hat, bleibt uns ein wenig verborgen. Deine Schreibweise des Zitats führt das allerdings SEHR nah zusammen, so dass man denkt, er habe das in einem Satz gesagt. Dadurch unterstützt du quasi die Darstellungsweise des Welt-Artikels… die unter Umständen schon überzogen war :). Aber das ist recht paranoid von mir, es wird schon stimmen, der Zusammenhang ist da. Das ist schon das, was in den Köpfen ankommen soll.
Ich denke übrigens nicht, dass Saturn, Mediamarkt & Co auf diese nervigen, rumhängenden Kids in den Läden verzichten will. Jeder “Freak” ist doch Meinungsführer in seinem Spezialgebiet. Das ist perfekte Werbung :). View all comments by laZee
Hab mir auch sehr viel Kopfzerbrechen darüber gemacht, ob ich die Klammer setzen soll oder nicht, weil auch im Welt-Artikel nicht ersichtlich war, ob das nicht aus zwei völlig grundverschiedenen Aussaggen stammt.
Aber selbst wenn sich der zweite Teil hinter der Klammer auf eine gänzlich andere Fragestellung bezog, bringt Nagel, ob bewußt oder unbewußt, gewollt oder ungewollt, letztlich Kriminalität undKonsolen irgendwo in Zusammenhang.
Vielleicht nicht so direkt, wie ich das dargestellt habe. Aber die Kausalkette Konsolen im Elektronikmarkt <--> Schule schwänzen <---> Jugendkriminalität wird scheinbar unterstellt.
Würde ja gerne mit dem Herrn darüber diskutieren, hab aber keine Lust ihn anzuschreiben. Bisher wurden meine Anfragen bei irgendwelchen Ministerien zu bestimmten Aussagen immer abgebügelt (ok, ich hab bislang nur im Bayerischen Familienministerium wegen “Killerspielen” angefragt – und wegen eines Interviews zur Jugendschutznovellierung von 2003, aber die Aussage war immer sinngemäß: Wir nehmen keine Stellung zu sowas). View all comments by Christian