Was ich an kreativen Menschen ganz besonders mag ist ihre Fähigkeit, immer wieder aufs Neue Mittel und Wege zu finden, bestimmte Ideen in die Tat umzusetzen. Denn oftmals ist es gar nicht die Idee als solche, die besonders kreativ wäre, sondern der Prozess der Umsetzung, der ein neues Denken, ein permanentes Hinterfragen von Standards, Gegebenheiten und eingetretenen Pfaden sowie einen besonderen Umgang mit meist zuhauf vorhandenen Limitierungen in Form von Budgets, Zeit, Ressourcen, technischen Möglichkeiten etc. erfordert.
Insbesondere letzteres fördert dabei oftmals die kreativsten Lösungsansätze zutage. Denn gerade die Notwendigkeit und der Willen, auch mit beschränkten Mitteln ein Ergebnis zu erzielen, dem man die Voraussetzungen nicht ansieht, setzt eine intensive Auseinandersetzung mit jedem noch so kleinen Detail voraus, das hinterfragt, auseinandergenommen und mit neuen Ideen und Versatzstücken zu etwas Neuem zusammengesetzt werden will. Und insbesondere dieser Aspekt ist es, der Kreativität im Wesentlichen ausmacht. Nicht die Möglichkeit und das Können, jedes Mal etwas völlig Revolutionäres zu erfinden, sondern auf Basis eigener Erfahrungen, Einflüsse, Eindrücke und Erlebnisse und der vorhandenen Möglichkeiten und Ressourcen Versatzstücke zu finden und so möglichst sinnvoll und effektiv zu etwas zusammenzufügen, das unterm Strich mindestens zum gewünschten Ergebnis, im Idealfall tatsächlich zu etwas Neuem und Eigenem führt.
Kreativität ist also in erster Linie, über den eigenen Horizont hinauszublicken, sich von Einschränkungen freizumachen und einfach mal sein Köpfchen anzustrengen, wie man die vorhandenen Mittel so zurechtgebogen bekommt, dass man mit ihnen arbeiten kann. Einfach mal darüber nachdenken, wo man hinwill, was man zur Verfügung stehen hat und wie man damit ans Ziel kommt.
Genau das macht derzeit offenbar Ninja Theory in ihrem Studio in Cambridge, England, während sie an Hellblade: Senua’s Sacrifice werkeln. Und während sie das tun, geben sie einen Einblick in ihre Arbeit, der in dieser Tiefe seinesgleichen sucht und deshalb zunächst überrascht. Nun sind Ninja Theory zwar bei weitem kein unbeschriebenes Blatt, haben sie mit Heavenly Sword doch einen der PS3 Launchtitel vorgelegt, mit DMC: Devil May Cry ein Reboot einer Serie vorgelegt, das seine Vorgänger meines Erachtens locker in die Tasche steckt und mit Enslaved: Odyssey to the West schlicht und ergreifend eines meiner Lieblingsspiele und sicherlich eines der herausragendsten Games der letzten Konsolengeneration abgeliefert. Dennoch handelt es sich bei Ninja Theory – sehr zu meinem Überraschen – um ein ziemlich kleines Indie-Studio, das derzeit mit sehr beschränkten Mitteln und einem Team, das im Laufe des Projekts von vielleicht einem Dutzend auf knapp 20 Menschen angewachsen ist, an einem Titel arbeitet, der sich hinter keinem einzigen Triple-A-Projekt mit hunderten Entwicklern aus größeren Häusern zu verstecken braucht.
Klar ist jedoch: die Mittel sind knapp, der Zugriff auf teure Motion-Capture-Studios, High-End-Technologien, finanzielle und menschliche Ressourcen etc. ist extrem beschränkt. Auftritt Kreativität. Denn was Ninja Theory aus dieser Ausgangssituation zusammenzaubert, erfüllt sämtliche eingangs beschriebenen Kriterien von kreativem Arbeiten und kreativem Umgang mit vermeintlichen Einschränkungen. Den Entwicklern in ihren unzähligen Development Diaries Videos über die Schulter zu schauen und einen Eindruck davon zu bekommen, unter welchen Bedingungen ein Spiel entsteht, das so gut, so spannend und so atmosphärisch dicht aussieht, vermittelt nicht nur einen perfekten Eindruck davon, wie Kreativität eigentlich funktioniert, sondern macht darüber hinaus auch noch wahnsinnig viel Spaß – und ungemeine Lust auf das Spiel.
Aufmerksam geworden bin ich erst vor kurzem auf Hellblade, als ich den “Ragnarok”-Trailer als Pre-Roll bei Youtube vorgesetzt bekam. Der erste Eindruck war zunächst zwiegespalten, da die Bilder zwar schön atmosphärisch waren, der Trailer aber wenig über das Spiel preisgibt. Doch allein das Voice-Acting war und ist bereits so grandios, dass ich neugierig wurde und mir den Trailer anschließend noch ein paar weitere Male anschauen musste. Und mit jedem Mal wurde meine Gänsehaut größer.
Also angefangen, ein bisschen weiter zu graben und auf ein Making-Off-Video aus oben erwähnter Dev-Diary-Reihe gestoßen, bei dem die Protagonistin erzählt, wie sie an ihre Rolle gekommen ist. Erst da wurde mir dann zum ersten Mal klar, was für ein kleines Studio Ninja Theory doch eigentlich ist. Zu sehen, dass Melina, die (übrigens aus dem beschaulichen Paderborn stammende) Hauptdarstellerin, eigentlich Video Editor bei Ninja Theory ist und vorher über keinerlei Schauspielerfahrung verfügte, oder dass im Laufe der Arbeiten an Hellblade kurzerhand der hauseigene Konferenzraum in einen Green Room für Motion Capturing umgewandelt wurde, um keine teuren externen Ressourcen in Anspruch nehmen zu müssen, fand ich schon so faszinierend, dass ich weiterschauen musste.
Und so wühlt man sich also durch allerhand Making Ofs und sieht, mit welcher Leidenschaft und Liebe zum Detail, mit welcher Kreativität, all die vorhandenen Limitierungen ausgehebelt werden und ein Spiel entsteht, das unter der Oberfläche viel mehr ist, als der martialische, ein eher herkömmliches 08/15-Action-Adventure vermuten lassende Trailer zunächst preisgeben mag.
Die Idee einer Protagonistin, die durch (dem Spiel vorausgegangene?) Ereignisse ein psychisches Trauma erlitten hat, das sich unmittelbar auf Gameplay, Leveldesign und Spielmechaniken auswirkt, ist bereits als Grundlage mehr als spannend. Ob es spielerisch auch tatsächlich genau so greifbar wird, wie es sich die Entwickler vorstellen, bleibt abzuwarten. Doch allein der Blick in die Entstehung des Sounddesigns, mit dessen Hilfe Senuas mentale Verfassung dargestellt wird, macht mir Lust darauf, Hellblade direkt zum Erscheinen spielen zu wollen. (Dumm bloß, dass ich bei Horizon: Zero Dawn “erst” knapp 50 Stunden hinter mir habe und noch weit entfernt von einer Vollendung der Main Quests bin, Side Quests sei dank).
Ein Gamedesign, das komplett ohne HUD auskommen will und den Spieler allein durch akustische Reize durch die Welt lotsen will und das darin gipfelt, das ein kompletter Level fast einzig und allein auf Sound setzt und uns weitestgehend im Dunkeln tappen lässt (im wahrsten Sinne des Wortes)? Zum ersten Mal überhaupt wünsche ich mir wirklich ein amtliches 5 oder -7.1-System für mein Wohnzimmer.
Interessant finde ich bei alledem aber, dass es eben nicht der Trailer als solches war, der diesen Wunsch in mir ausgelöst hat, sondern der Blick hinter die Kulissen, der Einblick in die kreativen Prozesse und die Leidenschaft, die dieses kleine Team für dieses Projekt aufbringt. Gleichzeitig zeigt es, wie man auch auf dieser Ebene mit geringem Budget hervorragendes Marketing betreibt und durch die Nähe zum Publikum eine Fanbase aufbaut, die selbst mit großen Werbe- und Mediaetats nicht besser zu erreichen wäre. Insofern ist Hellblade auch in diesem Bereich ein gutes Beispiel dafür, dass Kreativität manchmal auch eben heißt, einfachere, kleinere Schritte zu machen, um Großes erreichen zu können.
Dass Hellblade: Senua’s Sacrifice ausschließlich digital zum Midprice erscheint, auf “klassische” Vertriebswege, teure Zwischenhändler und unnötigen Plastikmüll völlig verzichtet, ist da nur der letzte Baustein von vielen.
And now shut up and take my money!